Das OLG Düsseldorf hat mit Beschl. v. 20.11.2020 – I-3 Wx 138/20 entschieden, dass ein Erbschein für den Nachlass eines Deutschen mit überwiegendem Aufenthalt auf Gran Canaria dann nicht wegen Unzuständigkeit deutscher Gerichte einzuziehen ist, wenn der Erblasser weiterhin enge Beziehungen zu Deutschland hatte.
Auszüge aus den Gründen
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Zu Recht hat das Nachlassgericht hat den Antrag der Beteiligten zu 1 bis 3 auf Einziehung des Erbscheins vom 13. Dezember 2017 zurückgewiesen. Entgegen der von den Beteiligten zu 1 bis 3 vertretenen Auffassung ist der Erbschein nicht wegen Unzuständigkeit des Amtsgerichts Duisburg in internationaler oder in örtlicher Hinsicht als unrichtig einzuziehen. Die im Beschwerdeverfahren ergänzend erhobene Beanstandung einer unterbliebenen Anhörung verfängt ebenso wenig.
Gemäß § 2361 Satz 1 BGB ist ein Erbschein einzuziehen, wenn er unrichtig ist. Die eine Einziehung gebietende Unrichtigkeit kann in Umständen begründet sein, wonach der Erbschein schon ursprünglich nicht hätte erteilt werden dürfen, oder in Umständen, die dazu führen, dass die Voraussetzungen für seine Erteilung nachträglich nicht mehr vorhanden sind. Die Einziehung muss angeordnet werden, wenn die zur Begründung des Erbscheinsantrages notwendigen Tatsachen nicht mehr als festgestellt zu erachten sind, weil die gemäß § 2359 BGB erforderliche Überzeugung des Nachlassgerichts von dem bezeugten Erbrecht über einen bloßen Zweifel hinaus erschüttert ist (OLG Köln FamRZ 2003, 1784 mit weiteren Nachweisen; BGH NJW 1963, 1972; BeckOGK/Neukirchen, Stand: 1. Februar 2020, § 2361 BGB Rn. 9; Keidel/Sternal, FamFG, 19. Aufl. 2017, § 29 Rn. 66). Die Unrichtigkeit kann sich aus den Vorschriften des materiellen Rechts ergeben oder sie kann auch verfahrensrechtlicher/formeller Natur sein. Letzterenfalls gilt einschränkend, dass die Einziehung eines inhaltlich richtigen Erbschein nur in gravierenden Fällen anzuordnen ist; als in diesem Zusammenhang beachtlicher Verfahrensfehler anerkannt ist der Erlass eines Erbscheins bei internationaler Unzuständigkeit des Nachlassgerichts (vgl. Keidel/Zimmermann, a.a.O., § 353 Rn. 3; Palandt-Weidlich, BGB, 76. Aufl. 2017, § 2361 Rn. 3; jeweils mit weiteren Nachweisen). Ob auch die fehlende örtliche Zuständigkeit des erteilenden Gerichts die Einziehung eines Erbscheins rechtfertigt, ist in der Rechtsprechung mit Blick auf die Regelung in § 2 Abs. 3 FamFG angezweifelt worden (OLG Köln FamRZ 2015, 1651; verneinend: Keidel/Sternal, a.a.O., § 2 Rn. 36 a; MüKoFamFG/Papst, 3. Aufl. 2018, § 2 Rn. 50, mit Verweis auch auf § 65 Abs. 4 FamFG). Die zuletzt angesprochene Problematik kann hier offen gelassen werden, da die Überzeugung von der Richtigkeit des Erbscheins vom 13. Dezember 2017 nicht derart erschüttert ist, dass die Voraussetzungen für seine Erteilung nicht mehr als erwiesen erachtet werden können. Etwaige Zweifel an der internationalen oder örtlichen Zuständigkeit genügen für eine Einziehung nicht.
Der Erblasser ist am … auf Gran Canaria in Spanien verstorben. Damit ist gemäß Art. 83 Abs. 1 EuErbVO die am 17. August 2015 in Kraft getretene EuErbVO anzuwenden. In Erbsachen mit EU-Auslandsbezug richtet sich die internationale Zuständigkeit nach Art. 4 ff. EuErbVO. Nach der Grundregel des Art. 4 EuErbVO – für einen der Sondertatbestände der Art. 5 ff. EuErbVO ist hier nichts ersichtlich – sind für Entscheidungen in Erbsachen für den gesamten Nachlass die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
Der letzte gewöhnliche Aufenthalt ist in diesem Zusammenhang wie folgt zu bestimmen (vgl. aus der Rechtsprechung: EuGH NJW 2020, 2947 ff.; OLG Hamm ZEV 2020, 634 ff.; KG FGPrax 2016, 181 f.; s. auch MüKoFamFG/Grziwotz, a.a.O., § 343 Rn. 14; MüKoBGB/Dutta, 8. Aufl. 2020, Art. 4 EuErbVO Rn. 3; alle mit weiteren Nachweisen): unter Heranziehung der Erwägungsgründe Nr. 23 und 24 zur EuErbVO ist eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers vorzunehmen. Insbesondere sind die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthaltes des Erblassers im jeweiligen Mitgliedsstaat, seine Bindung an einen Staat, die Sprachkenntnisse, die Lage des Vermögens, seine persönliche, soziale, familiäre Eingliederung von Bedeutung; ein Hilfskriterium ist nach Satz 5 des Erwägungsgrunds Nr. 24 die Staatsangehörigkeit des Erblassers. Teilweise wird, was in Fällen eines erzwungenen oder willenlosen Aufenthaltes von Bedeutung sein kann, neben dem objektiven Moment des tatsächlichen Aufenthaltes auch ein subjektives Element, nämlich ein Aufenthalts- bzw. Bleibewille, verlangt (so OLG Hamm, a.a.O.; Keidel/Zimmermann, a.a.O., § 343 Rn. 67 m.w.N.; s. zum Meinungsstand auch MüKoFamFG/Grziwotz, a.a.O., § 343 Rn. 19). Das Nachlassgericht hat die Frage seiner internationalen Zuständigkeit von Amts wegen zu prüfen und die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen zu ermitteln (Senat FGPrax 2017, 36; OLG München FGPRax 2017, 134; Keidel/Zimmermann, a.a.O., § 343 Rn. 60).
Nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze und auf der Grundlage des Inhaltes der Verfahrensakte und des Vorbringens der Verfahrensbeteiligten ist auch die Überzeugung des Senats von der Richtigkeit des Erbscheins vom 13. Dezember 2017 nicht so weit erschüttert, dass ein gleichlautender Erbschein vom Amtsgericht Duisburg nicht mehr zu erteilten wäre; mehr als bloße Zweifel an der internationalen Zuständigkeit bestehen keinesfalls. Vorliegend spricht vielmehr eine weit überwiegende Gesamtheit von Umständen dafür, dass der Erblasser seinen Lebensmittelpunkt im vorstehend dargestellten Sinne noch in Deutschland hatte, obwohl er sich bis zu seinem Tod überwiegend – so die Feststellungen des Amtsgerichts im angefochtenen Beschluss – in Spanien aufgehalten hatte. Die hierfür maßgeblichen Gesichtspunkte hat das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss ausführlich dargestellt und überzeugend gewürdigt, worauf der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt. Ergänzend merkt der Senat an, dass auch der Umstand einer Anmietung einer Wohnung in Düsseldorf … die Verbundenheit des Erblassers mit Deutschland und seine trotz seiner Aufenthalte in Spanien unverändert bestehen gebliebene Eingliederung in Deutschland bekräftigt. Der Erblasser wollte sich auf diese Weise die Möglichkeit offen halten, jederzeit nach Deutschland als seinem Heimatland zu reisen, um sich dann in einer eigenen privaten Umgebung aufhalten zu können. Das unterscheidet ihn deutlich von einem Auswanderer, der Deutschland besucht und sich als ein Gast in einem Hotel zu vorab festgelegten Zeitpunkten – dies mit deutlich höherem Kostenaufwand – oder als Gast von Bekannten oder Familienangehörigen in Deutschland aufhält.
Offen bleiben kann, ob der Erblasser entsprechend des Vortrages der Beteiligten zu 1 bis 3 gegenüber ihrem Verfahrensbevollmächtigten vor dem Umzug nach Spanien erklärt hat, er würde Deutschland endgültig verlassen. Denn die weiteren unstreitigen Umstände zeigen, dass der Erblasser ein entsprechendes Vorhaben nicht in die Tat umgesetzt hat. So hatte er weiterhin seine Meldeadresse – möglicherweise entgegen der mit der Beteiligten zu 1 getroffenen Absprache – in Duisburg und gerade davon abgesehen, seinen Wohnsitz offiziell in Spanien anzumelden. Hinzu kommen seine Aufenthalte in Deutschland insbesondere auch zur Pflege seiner sozialen Kontakte und zur Fortsetzung seiner ehrenamtlichen Tätigkeit im Bürgerverein Duisburg. Das lässt sich nicht in Einklang mit einem als endgültig gewollten Verlassen bringen. Schließlich hat der Beteiligte zu 4 schon erstinstanzlich unwidersprochen vorgetragen, dass der Erblasser und er bereits zu Lebzeiten des Erblassers Ausschau nach einer größeren Wohnung in Deutschland gehalten hätten.
Dahin gestellt bleiben können schließlich auch die Motive und Hintergründe für den Umzug der Beteiligten zu 1 nach Gran Canaria. Sollte der Umzug auf das Betreiben des Erblassers hin geschehen sein, belegt das allein die Verbundenheit des Erblassers mit der Beteiligten zu 1 und nicht seine Integration in Spanien.
Ist demzufolge die Überzeugung davon , dass der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von Art. 4 EuErbVO in Deutschland hatte, nicht in ausreichender Weise erschüttert, richtet sich die Zuständigkeit für den Erlass des Erbscheins in örtlicher Hinsicht nach § 343 Abs. 2 FamFG. Die von den Beteiligten zu 1 bis 3 insofern erhobenen Beanstandungen verfangen nicht. Das gilt unabhängig von der Frage, ob die Einziehung eines Erbscheins als unrichtig wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit des Erlassgerichts überhaupt in Betracht kommt (s. oben). Der Erblasser hatte unzweifelhaft vor seinem Umzug nach Spanien im Jahr 2015 seinen letzten tatsächlichen gewöhnlichen Aufenthalt im Bezirk des Amtsgerichts Duisburg; einen gewöhnlichen Aufenthalt in der nach seinem Wegzug angemieteten Wohnung in Düsseldorf …, mithin im Bezirk des Amtsgerichts Düsseldorf, hatte er unstreitig nie. Wie bereits vom KG (FGPrax 2016, 181 f.) zutreffend ausgeführt, handelt es sich bei dem Umstand, dass einerseits in § 343 Abs. 2 FamFG die Zuständigkeit des Gerichts des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes in Deutschland gerade darin begründet ist, dass der Erblasser keinen gewöhnlichen Aufenthalt (mehr) in Deutschland hatte, andererseits aber von einem gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers im Sinne von Art. 4 EuErbVO in Deutschland auszugehen ist, nur um einen scheinbaren Widerspruch. Art. 4 EuERbVO regelt nur die internationale Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedsstaats in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte; die örtliche Zuständigkeit wird nicht, auch nicht mittelbar, mitgeregelt. Die Regelung der örtlichen Zuständigkeit bleibt vielmehr, vgl. auch Art. 2 EuErbVO, dem nationalen Recht vorbehalten und ist in Deutschland in § 343 FamFG geregelt (KG, a.a.O.; MüKoFamFG/Rauscher, 3. Aufl. 2019, Art. 4 EuErbVO Rn. 6).
Dahin gestellt bleiben kann schließlich, ob das Verfahren des Nachlassgerichts vor Erteilung des Erbscheins vom 13. Dezember 2017 zu beanstanden ist, da eine gesonderte Anhörung der Beteiligten zu 1 bis 3 zu dem am 13. Dezember 2017 vom Beteiligten zu 4 gestellten Erbscheinsantrag unterblieben ist. Ein etwaiger Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG, und gegen die aus § 26 FamFG folgende Pflicht zur Aufklärung und Ermittlung des Sachverhaltes von Amts wegen, die auch die Anhörung der Verfahrensbeteiligten nach § 34 FamFG gebieten kann (vgl. Keidel/Sternal, FamFG, a.a.O., § 26 Rn. 16 ff. und Rn. 38), ist jedenfalls geheilt, denn die Beteiligten zu 1 bis 3 haben im Verfahren über die Einziehung des Erbscheins umfassend sowohl in tatsächlicher wie auch in rechtlicher Hinsicht vorgetragen und ihr Vorbringen ist bereits vom Nachlassgericht ausführlich gewürdigt worden. Ist aber ein etwaiger Verfahrensfehler geheilt, ist eine Einziehung des Erbscheins vom 13. Dezember 2017 wegen einer Unrichtigkeit aus verfahrensrechtlich gravierenden Gründen (s. oben) keinesfalls gerechtfertigt.
Eine Unrichtigkeit des nach deutschem Erbrecht erteilten Erbscheins vom 13. Dezember 2017 in materiell-rechtlicher Hinsicht ist nicht ersichtlich (vgl. Art. 21 Abs. 1 EuErbVO, §§ 1925 Abs. 1 und 3, 1931 Abs. 1 und 3, 1371 BGB) und wird von den Beteiligten zu 1 bis 3 auch nicht geltend gemacht.
Anmerkung
Die Entscheidung verdeutlicht, dass auch bei überwiegendem Aufenthalt in Spanien der gewöhnliche Aufenthalt im Sinne der EuErbVO Deutschland bleiben kann und somit deutsche Gerichte für die Erteilung eines Erbscheins oder Europäischen Nachlasszeugnisses sein können.
Weitere Informationen zum Begriff gewöhnlicher Aufenthalt finden Sie in unseren Beiträgen Internationale Zuständigkeit in Erbsachen nach der EuErbVO und Anwendbares Erbrecht nach der Europäischen Erbrechtsverordnung.