1. Das Nachlassgericht kann vom Antragsteller eines Erbscheins nicht den Negativbeweis fordern, dass kein unbewegliches Vermögen zum Nachlass gehört, wenn nicht ersichtlich ist, an welchem Ort der Erblasser über welches unbewegliche Vermögen (Grundeigentum, Wohnungseigentum, Grundpfandrechte) verfügt haben könnte.
2. Zum beweglichen – und nicht zum unbeweglichen – Vermögen zählt die Beteiligung des Erblassers an einer ungeteilten Erbengemeinschaft.
3. Bestimmt sich die Erbfolge in Anwendung von Art. 36 Abs. 2 lit. a) EuErbVO nach den Regelungen des englischen Rechts, so gilt: Der bewegliche Nachlass wird nach dem Recht des tatsächlichen Lebensmittelpunkts (“domicileˮ) des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes, der unbewegliche Nachlass nach dem Recht des jeweiligen Lageortes vererbt.
4. Nach englischem Recht wird nicht der gesetzliche (oder testamentarisch bestimmte) Erbe, sondern der gerichtlich bestellte “administratorˮ (oder der vom Erblasser im Testament benannte “executorˮ) alleiniger Rechtsnachfolger des Erblassers. Er – und nicht der Erbe – ist zur Beantragung eines Erbscheins berechtigt.
5. Dass der “administratorˮ den Nachlass als Treuhänder für den/die gesetzlichen Erben abzuwickeln hat, kann durch den Hinweis im Erbschein zum Ausdruck gebracht werden, dass der Erblasser nach englischem Recht beerbt worden und sein Nachlass auf den “administratorˮ übergegangen ist, der den Nachlass als Treuhänder zugunsten des/der gesetzlichen Erben zu verwalten hat.
OLG Düsseldorf 26.5.2025 – 3 W 86/25
Auszug aus den Gründen
"3. Der Beteiligte ist alleiniger Inhaber des Inlandsvermögens seiner verstorbenen Ehefrau geworden.
a) Die Erbfolge in das (bewegliche) Inlandsvermögen der Erblasserin bestimmt sich nach englischem Recht.
aa) Das folgt im Ausgangspunkt aus Art. 21 Abs. 1 EuErbVO. Nach dieser Vorschrift unterliegt – sofern sich nicht im Zeitpunkt seines Todes ausnahmsweise aus der Gesamtheit der Umstände eine engere Verbindung des Erblassers zu einem anderen Staat ergibt – die gesamte Erbfolge dem Recht des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Das war vorliegend das Vereinigte Königreich. Dass das Land kein Mitgliedsstaat der EuErbVO ist, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Gemäß Art. 20 EuErbVO ist das nach der EuErbVO bezeichnete Recht – hier: das britische Recht – auch dann anzuwenden, wenn es nicht das Recht eines Mitgliedsstaates ist.
bb) Allerdings gilt im Vereinigten Königreich kein einheitliches Erbrecht (Solomon in Burandt/Rojahn, Erbrecht, 4. Auflage 2022, Länderbericht England und Wales (Vereinigtes Königreich) Rn. 2). Vielmehr bestehen zwischen den einzelnen Landesteilen England und Wales einerseits sowie Schottland und Nordirland andererseits signifikante Rechtsunterschiede. Das in England und Wales geltende Recht setzt sich in erster Linie aus dem von den Common Law Courts entwickelten Common Law und dem sogenannten Equity Law zusammen. Das schottische Recht hingegen hat sich erst seit Beginn des 18. Jahrhunderts dem englischen Common Law angenähert und stellt einen Mittelweg zwischen englischer und kontinentaleuropäischer Tradition dar. Darüber hinaus existiert auch geschriebenes Recht, das vor allem im Handelsrecht eine größere Rolle spielt. Kollisionsregeln im Sinne von Art. 36 Abs. 1 EuErbVO, die die in der jeweiligen Gebietseinheit anzuwendenden Rechtsvorschriften bestimmen, enthält das Recht des Vereinigten Königreichs nicht.
Gemäß Art. 36 Abs. 2 lit. a) EuErbVO findet in einem solchen Fall das Recht derjenigen Gebietseinheit Anwendung, in der der Erblasser im Zeitpunkt des Todes seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Im Entscheidungsfall führt dies zur Geltung des englischen Erbrechts. Denn die Erblasserin hatte ihren letzten Lebensmittelpunkt in London, mithin im Landesteil England.
22cc) In England gilt die traditionelle Regel des Common Law, wonach der bewegliche Nachlass nach dem Recht des tatsächlichen Lebensmittelpunkts („domicile“) des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes, der unbewegliche Nachlass nach dem Recht des jeweiligen Lageortes vererbt wird (vgl. BayObLG, Beschluss vom 30. 9. 1982, BReg. 1 Z 128/81; Beschluss vom 5. 5. 1988, BReg. 1 a Z 21/88; OLG Zweibrücken Beschluss vom 11. 5. 1994, 3 W 54/94; Solomon, a.a.O., Länderbericht England und Wales (Vereinigtes Königreich) Rn. 3). Das gilt grundsätzlich für die gesetzliche wie für die testamentarische Erbfolge gleichermaßen. Folglich verweist das englische Internationale Privatrecht wegen der Erbfolge für in Deutschland belegenes unbewegliches Vermögen im Sinne von Art. 34 Abs. 1 lit. a) EuErbVO auf das deutsche Belegenheitsrecht zurück, das diese Verweisung annimmt. Bewegliches Vermögen wird demgegenüber ohne Rücksicht darauf, ob es sich um Inlands- oder Auslandsvermögen des Erblassers handelt, einheitlich nach den Bestimmungen des englischen Rechts vererbt.
b) Nach den Bestimmungen des englischen Erbrechts ist der Beteiligte in Bezug auf das Inlandsvermögen seiner verstorbenen Ehefrau deren alleiniger Rechtsnachfolger geworden.
aa) Tritt – wie im Entscheidungsfall – mangels einer letztwilligen Verfügung gesetzliche Erbfolge ein, so sind nach englischem Recht sowohl der Ehepartner als auch die Abkömmlinge erbberechtigt. Hinterlässt der Erblasser Abkömmlinge, so gebührt dem überlebenden Ehegatten zunächst die gesamte persönliche Habe des Erblassers („personal chattels“) einschließlich seines gesamten beweglichen Vermögens, aber mit Ausnahme des Geldvermögens. Zusätzlich hat der überlebende Ehegatte einen ab dem Zeitpunkt des Todes des Erblassers verzinslichen Anspruch auf einen festen Geldbetrag („statutory legacy“) in Höhe von derzeit £ 270.000. Darüber hinaus erhält der überlebende Ehegatte die Hälfte des verbleibenden Vermögens („residuary estate“). Die andere Hälfte des „residuary estate“ steht als „statutory trust“ den Abkömmlingen zu (Solomon, a.a.O., Länderbericht England und Wales (Vereinigtes Königreich) Rn. 33 ff. m.w.N.).
bb) Das vorstehend beschriebene Erbrecht der Abkömmlinge der Erblasserin führt allerdings nicht dazu, dass der Beteiligte nicht alleiniger Rechtsnachfolger seiner Ehefrau geworden ist.
(1) Im Gegensatz zum deutschen Erbrecht geht nach englischem Recht mit dem Tod einer Person der Nachlass nicht im Wege der Universalsukzession auf den/die (gesetzlichen oder testamentarischen) Erben über. Rechtsnachfolger wird vielmehr der „personal representative“, der die Nachlassverbindlichkeiten zu begleichen hat und sodann den verbleibenden Nachlass („residuary estate“) nach Maßgabe der Regeln über die gesetzliche oder gewillkürte Erbfolge an die jeweiligen Begünstigten auskehrt. Nicht die Erben, sondern der „personal representative“ wird Rechtsinhaber hinsichtlich der Nachlassgegenstände, die er wie ein Treuhänder im Interesse der Nachlassgläubiger und der erbrechtlich letztlich Begünstigten („beneficiaries“) zu verwalten hat. Die „beneficiaries“ haben ihm gegenüber lediglich Herausgabe- oder Übertragungsansprüche (Solomon, a.a.O., Länderbericht England und Wales (Vereinigtes Königreich) Rn. 27, 140 ff. m.w.N.; J.P. Schmidt in Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, 2. Auflage 2021, Art. 23 EuErbVO Rn. 66 ff.). Wird der „personal representative“ vom Erblasser im Testament benannt, heißt er „executor“; der gerichtlich bestellte „personal representative“ wird als „administrator“ bezeichnet.
(2) Hat der Erblasser kein Testament errichtet oder in seinem Testament keinen „executor“ ernannt, so obliegt die Bestimmung des „personal representative“ dem Gericht. Es hat den „administrator“ aus dem Kreis der gesetzlich Erbberechtigten nach der Rangfolge „Ehegatte, Kinder des Erblassers bzw. deren Abkömmlinge, Eltern des Erblassers usw.“ zu bestimmen. Die Stellung des „executor“ erwächst nach englischem Verständnis unmittelbar aus dem Testament und seiner Ernennung durch den Erblasser. Der „executor“ wird folglich mit Wirkung ab dem Erbfall Rechtsträger des gesamten Nachlasses und ist ab diesem Zeitpunkt befugt, für den Nachlass zu handeln. Das ihm erteilte Zeugnis hat nur deklaratorische Bedeutung, wird in der Praxis aber gleichwohl zum Nachweis seiner Rechtsstellung benötigt. Der „executor“ ist grundsätzlich frei, das Amt zu übernehmen oder abzulehnen. Im Falle der Ablehnung gilt die automatische Rechtsnachfolge als nicht eingetreten. Anders liegen die Dinge beim gerichtlich bestellten „personal representative“. Der „administrator“ wird erst durch die Aushändigung der gerichtlichen Ernennungsurkunde („Letter of administration“) Inhaber des Nachlasses und berechtigt, für diesen zu handeln; die Erteilung der Urkunde wirkt folglich konstitutiv. Vorher kann der „administrator“ nicht wirksam für den Nachlass handeln.
cc) Der Beteiligte ist durch Aushändigung des „Letters of administration“ vom 30. April 2024 alleiniger Inhaber des Nachlasses seiner Ehefrau geworden und als solcher zur Beantragung eines Erbscheins nach § 352 Abs. 1 FamFG berechtigt. Das folgt aus der Funktion des Erbscheins als Legitimationsurkunde und trägt dem Umstand Rechnung, dass es für die Frage, wer sich im Rechtsverkehr durch Vorlage eines Erbscheins legitimieren muss, allein auf die Nachlassinhaberschaft und nicht darauf ankommt, wer durch den Erbfall begünstigt ist (J.P. Schmidt, a.a.O. Art. 23 EuErbVO Rn. 75; Odersky in Süß, Erbrecht in Europa, 4. Aufl. 2021, Länderbericht Großbritannien: England und Wales, Rn. 28 f.; a.A.: OLG Schleswig, Beschluss vom 9.7.2014, BeckRS 2014, 17906). Dem Umstand, dass der Beteiligte als „administrator“ keine unbeschränkte und freie Verfügungsbefugnis über den Nachlass besitzt, sondern diesen als Treuhänder für die gesetzlichen Erben der Erblasserin abzuwickeln hat, kann hinreichend dadurch Rechnung getragen werden, dass bei der Fassung des Erbscheins die Besonderheiten des englischen Erbrechts zum Ausdruck gebracht werden. Denkbar ist beispielsweise der Hinweis im Erbschein, dass die Erblasserin nach englischem Recht beerbt worden und ihr Nachlass auf den Beteiligten als Nachlassverwalter („administrator“) übergegangen ist, der den Nachlass als Treuhänder auch zugunsten der beiden erbberechtigten ehelichen Kinder N. und S. zu verwalten hat."
Anmerkung
Das Oberlandesgericht Hamm hatte mit Beschluss vom 23.04.2025, Az.: 10 W 49/25 entschieden, dass einem kanadischen Nachlassabwickler, der nicht vom Erblasser benannt wurde („Estate Trustee with a Will“) kein Erbschein des Inhalts, dass der Nachlass auf ihn "unter Ausschluss der Erben" übergegangen ist, zu erteilen ist. Damit folgte das OLG Hamm der ganz herrschenden Meinung in der Literatur und Rechtsprechung. Das OLG Düsseldorf schließt sich jetzt der Mindermeinung, nach der ein Erbschein einem solchen Nachlassabwickler (adminstrator) erteilt werden kann, an. Dies begründet es damit, dass der Nachlassabwickler (personal representative) englischen Rechts "Rechtsinhaber" hinsichtlich der Nachlassgegenstände werde.
Dies überzeugt nicht. Den Erben kennzeichnet gemäß § 1922 BGB, dass auf ihn "aller Rechte und Pflichten" übergehen (Universalsukzession). Dies ist beim Nachlassabwickler (personal representative) englischen Rechts aber nicht der Fall:
- So haftet ein englischer Nachlassabwickler im Grundsatz nicht für die Nachlassverbindlichkeiten; vielmehr sorgt er im Rahmen der Nachlassabwicklung nur für die Tilgung und haftet nur in Ausnahmefällen persönlich.
- Nach den common-law Regeln geht das Eigentum von Grundvermögen - vorbehaltlich des Verwaltungsrechts des Nachlassabwicklers - in bestimmten Konstellationen (z.B. gesetzliche Erbfolge) auf die Begünstigten unmittelbar über; die common-law Regeln sind im englischen Recht zwar durch Gesetz überlagert (S 1 AEA 1925), in manchen Rechtsgebieten gelten sie aber noch heute (so z.B. New York).
- Der englische Nachlassabwickler wird sich in der Regel nicht ins englische Grundbuch (land registry) eintragen lassen (und wenn doch, wird seine treuhänderische Stellung vermerkt);
- Die vom englischen administrator erworbene "Rechtinhaberschaft" entspricht somit am ehesten dem Verfügungsrecht eines Testamentsvollstreckers nach § 2205 BGB und nicht etwa Eigentum im Sinne von § 903 BGB.
- Der englische administrator erwirbt die "Rechtsinhaberschaft" nicht - wie der Erbe im Sinne von § 1922 BGB - "mit dem Tod" des Erblasser (von selbst). Vielmehr erfolgt der Erwerb der Rechte nach der Rechtsprechung englischer Gerichte (Jennison v Jennison [2022] EWCA Civ 1682) mit der Erteilung des Nachlassabwicklerzeugnisses (letters of administration); es fehlt somit am "Vonselbsterwerb", der den Erben kennzeichnet.
- die Einsetzung als englischer Nachlassabwickler setzt eine entsprechende Eignung voraus, die auch später entfallen kann.
- Ein englischer Nachlassabwickler kann auf begründeten Antrag entlassen werden.
Die Auffassung des OLG Düsseldorf ist im Ergebnis auch unpraktikabel: Sie führt dazu, dass bei Wechsel des Nachlassabwicklers der Erbschein unrichtig wird und somit einzuziehen wäre. Ferner wäre bei einem Spaltnachlass unter Umständen unterschiedlichen Personen ein Erbschein zu erteilen. Schließlich fragt man sich, wie die genau die Beschränkungen der Rechte des Nachlassabwicklers im Erbschein ausgewiesen werden sollen.