OLG Nürnberg: Beschwerdegericht darf nicht die sachliche Begründetheit der erhobenen Einwände gegen ein ENZ prüfen

Leitsätze

1. Ein Europäisches Nachlasszeugnis darf nicht ausgestellt werden, wenn im Ausstellungsverfahren Einwände gegen den zu bescheinigenden Sachverhalt erhoben werden (vgl. EuGH Urt. vom 23.01.2025 – C-187/23, Albausy).

2. Auch das Beschwerdegericht überprüft in solchen Fällen aufgrund des Gleichlaufs der Prüfungskompetenzen lediglich das Vorliegen der angegebenen Ablehnungsgründe und nicht die sachliche Begründetheit der erhobenen Einwände.

1. Eine Sachentscheidung über die Begründetheit der im Ausstellungsverfahren für ein Europäisches Nachlasszeugnis (ENZ) erhobenen Einwände gegen den zu bescheinigenden Sachverhalt kann im Beschwerdeverfahren nicht erfolgen.  (redaktioneller Leitsatz)

2. Zwar hat der EuGH eine solche grundsätzlich für zulässig gehalten (EuGH BeckRS 2025, 371 Rn. 65). Die Beteiligten können jedoch eine verbindliche Klärung ihres Erbrechts durch Klageerhebung vor den zuständigen deutschen Prozessgerichten erreichen, so dass ihnen effektiver Rechtsschutz zur Verfügung steht. Die Ausführungen des EuGH („… kann ggf. … prüfen“) können nur so verstanden werden, dass dies für die Länder gilt, die für diese Fälle eine gerichtliche Klärung gerade im Rahmen des ENZ-Verfahrens vorsehen und keine anderen Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung stellen. (Leitsätze des Verfassers) (redaktioneller Leitsatz)

OLG Nürnberg, Beschluss v. 21.03.2025 – 15 Wx 1493/23

Auszug aus den Gründen

a) Zutreffend hat das Erstgericht die Zurückweisung des Antrags damit begründet, dass die Beteiligten zu 2) und 3) im hiesigen Verfahren Einwände gegen die Rechtswirksamkeit des Testaments, auf das sich die Beschwerdeführerin beruft, erhoben hatten, so dass die Ausstellung des ENZ nach Art. 67 Abs. 1 UAbs. 2 lit. a) EuErbVO nicht erfolgen könne.

Dass diese Auslegung der Vorschrift nicht zu beanstanden ist, steht aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 23.01.2025 – C-187/23, Albausy (ZEV 2025, 189), nunmehr fest (wegen des früheren Meinungsstreits wird auf die Ausführungen des Erstgerichts sowie des Senats im Aussetzungsbeschluss vom 29.11.2023 Bezug genommen). Nach überzeugender Argumentation mit dem Wortlaut, dem Kontext und den Zielen der EuErbVO hat der EuGH nämlich entschieden, dass das ENZ „nicht ausgestellt werden darf, wenn im Ausstellungsverfahren Einwände erhoben worden sind, aus denen sich ergibt, dass der zu bescheinigende Sachverhalt nicht als feststehend angesehen werden kann“ (EuGH a.a.O. Rn. 54, beck-online). Dies gilt selbst dann, wenn die Einwände „unbegründet oder unsubstantiiert erscheinen“ (EuGH a.a.O. Rn. 63, beck-online).

Diese Voraussetzungen liegen hier vor, da die Beteiligten zu 2) und 3) im Ausstellungsverfahren Einwände gegen die Urheberschaft des Erblassers hinsichtlich des Testaments vom 25.09.2019 und gegen seine Testierfähigkeit zu diesem Zeitpunkt erhoben haben, die auch noch nicht in einem anderen Verfahren bereits rechtskräftig zurückgewiesen worden sind. Daher konnten vorliegend die Wirksamkeit des Testaments und damit die Erbenstellung der Beteiligten zu 1) nicht als feststehend angesehen werden, so dass das Erstgericht den Antrag auf Ausstellung des ENZ zu Recht zurückgewiesen hat.

b) Eine Sachentscheidung über die Begründetheit der erhobenen Einwände kann vorliegend auch im Beschwerdeverfahren nicht erfolgen. Zwar hat der EuGH eine solche grundsätzlich für zulässig gehalten („Das mit einem Rechtsbehelf befasste Gericht kann ggf. die Begründetheit der Einwände prüfen, die der Ausstellung des Zeugnisses entgegenstanden“, EuGH a.a.O. Rn. 65, beck-online), und zwar vor dem Hintergrund, dass das Erstgericht bei der Entscheidung über die Ausstellung eines ENZ „keine gerichtliche Funktion“ ausübe (EuGH a.a.O. Rn. 66, beck-online).

Allerdings gelten für das Beschwerdeverfahren gegen die Versagung eines ENZ nach § 35 IntErbRVG grundsätzlich die Vorschriften des FamFG, soweit sich aus § 43 IntErbRVG nichts Abweichendes ergibt (Burandt/Rojahn/Kroiß, 4. Aufl. 2022, IntErbRVG § 43 Rn. 2). Dabei kann der Prüfungsumfang des Beschwerdegerichts, das folglich vergleichbar einem Verwaltungsgericht tätig wird, das den Bescheid einer Ausgangsbehörde überprüft, kein anderer sein als der des Nachlassgerichts. „Die Prüfungskompetenzen von Nachlassgericht und Beschwerdegericht decken sich“ nämlich (OLG Stuttgart, Beschluss vom 15.12.2020 – Az. …, ZEV 2021, 320; Zimmermann ZErb 2015, 342, 343; Burandt/Rojahn/Kroiß, a.a.O. Rn. 7; Hüßtege/Mansel/DaunerLieb/Heidel/Ring, BGB, Rom-Verordnungen, IntErbRVG § 43 Rn. 8). Das Beschwerdegericht hat also die „inhaltliche Richtigkeit des Nachlasszeugnisses“ bzw. die Gründe der Ablehnung zu prüfen sowie etwaige Verfahrensfehler der Ausstellungsbehörde (Dutta/Weber/Dutta, 2. Aufl. 2021, IntErbRVG § 43 Rn. 21; Sternal/Zimmermann, 21. Aufl. 2023, IntErbRVG § 43 Rn. 19).

Aufgrund dieses Gleichlaufs der Prüfungskompetenzen ist es nach deutschem Recht daher nicht möglich, dass in der Beschwerdeinstanz – erstmals – eine verbindliche Klärung von Sachfragen vorgenommen wird, die der Ausstellungsbehörde als erster Instanz nach Art. 67 Abs. 1 UAbs. 2 EuErbVO gerade versagt ist. Auch mit Art. 72 Abs. 2 UAbs. 2 EuErbVO steht dieses Ergebnis im Einklang, denn nach dieser Vorschrift beschränkt sich der Prüfungsumfang des Rechtsmittelgerichts darauf, ob die Versagung der Ausstellung gerechtfertigt war, d.h. „aufgrund der bloßen Geltendmachung eines Einwands der Versagungsgrund des Art. 67 Abs. 1 UAbs. 2 lit. a) EuErbVO vorlag“ (Kleinschmidt in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., Art. 67 EuErbVO (Stand: 22.10.2024), Rn. 29).

Zudem können die Beteiligten eine verbindliche Klärung ihres Erbrechts durch Klageerhebung vor den zuständigen Prozessgerichten erreichen, so dass ihnen effektiver Rechtsschutz zur Verfügung steht. Es besteht daher aus hiesiger Sicht auch kein Bedürfnis dafür, in dem auf „zügige, unkomplizierte und effiziente Abwicklung einer Erbsache mit grenzüberschreitendem Bezug“ (vgl. Erwägungsgrund 67) angelegten und einvernehmlich ausgestalteten ENZ-Verfahren (inklusive der Rechtsmittelinstanz), streitige Fälle umfassend zu prüfen und aufzuklären, so dass die entsprechenden Ausführungen des EuGH („… kann ggf. … prüfen“) nur so verstanden werden können, dass dies für die Länder gilt, die für diese Fälle eine gerichtliche Klärung gerade im Rahmen des ENZ-Verfahrens vorsehen und keine anderen Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung stellen."

Anmerkung

Die Entscheidung überzeugt nicht. Nach der überzeugenden Auffassung von Dutta (MüKoBGB, 9. Aufl. 2024, EuErbVO Art. 72 Rn. 7, beck-online) ist der Prüfungsmaßstab im Ausstellungsverfahren und im Rechtsbehelfsverfahren unterschiedlich: Während im Ausstellungsverfahren allein das Vorbringen materiellrechtlicher Einwände gegen das Zeugnis durch potentiell Berechtigte ausreicht, um die Ausstellung eines Zeugnisses zu verhindern, müsse das Rechtsbehelfsgericht notfalls über die zu bescheinigende Rechtsstellung streitig entscheiden. Diese Auffassung ist vorzugswürdig; der Gesetzgeber hatte erkennbar das Nachlassverfahren im romanischen Rechtskreis vor Augen, bei dem das Zeugnis vor einem Notar beantragt wird, der bei einem Einspruch aber das Verfahren an ein Gericht zur streitigen Entscheidung abzugeben hatte. 

Wegen der derzeitigen Rechtsunsicherheit sollte - wenn mit einem Einwand zu rechnen ist - gleichwohl eine andere Verfahrensart (z.B. Erbscheinverfahren) gewählt werden. 

Für weitere Informationen verweisen wir auf den Beitrag Europäisches Nachlasszeugnis - Zuständigkeit, Antrag, Wirkungen, Gültigkeitsdauer

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